Umstrittener Begriff: Darf man noch von „Menschenrassen“ sprechen?
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In Dresden findet eine Tagung zu einem der umstrittensten Begriffe des Deutschen statt: der Rasse. Ausgerechnet in der Pegida-Stadt, ausgerechnet im Hygiene-Museum
Der Begriff 'Rasse' hat (zumindest auf Menschen bezogen) in Deutschland seit dem Dritten Reich einen mehr als schalen Beigeschmack. Eine gute Frage ist, ob und wie lange man ein Wort im öffentlichen Sprachgebrauch ächten sollte, nachdem es in der Vergangenheit missbraucht wurde. Und ganz verschwunden ist es ja nicht, in Zusammenhang mit Tieren wird 'Rasse' auch in Deutschland ganz selbstverständlich gebraucht. Und selbst auf Menschen bezogen verwendet man es (vorsichtshalber aber in Denglisch), wenn man z.B. 'Racial Profiling' kritisiert.
Es fällt mir schwer, den Artikel auf wenige Kernsätze einzudampfen. Nur als 'Must Read' einstellen reicht mir aber auch nicht, denn der Artikel schreibt m.E. teilweise am Thema vorbei. So bleibt mir nur, trotz meiner Schreibselei den Artikel auch komplett zum kritischen Lesen zu empfehlen.
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Rassen? Ein Begriff, der in weiten Teilen der Naturwissenschaft abgelehnt wird, aber in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit eine Rolle spielt. Haben die Forscher Recht, handelt es sich um ein Unwort, das auf den Index gehört, das unmittelbar in Rassismus mündet? So einfach ist es nicht, wie der Verlauf der Tagung zeigte
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Der Ort Hygiene-Museum ist weder Zufall noch Unachtsamkeit. Für den Museumsdirektor war die Tagung, die der Vorbereitung auf eine große Ausstellung zum Thema in drei Jahren dienen sollte, ein Stück Vergangenheitsbewältigung des eigenen Hauses. „Hier war damals das Zentrum, in dem der Rassenbegriff Gestalt gewann, aus dem jene Diaserien und Lehrmaterialien über die menschlichen Rassen stammten, mit denen dann Lebenswert von Lebensunwert getrennt wurde.“
Hier zeigt sich schon die Stelle, an der es problematisch wird, und die mir im Weiteren zu kurz kommt: 'Rasse' ist (von der zugegeben schwammigen Definition her) etwas, was sich auf anpassungsbedingte Unterschiede bezieht, die evolutionsbiologisch ihren Sinn haben (oder zumindest hatten). Daraus in einem globalen Zusammenhang eine 'Wertigkeit' ableiten zu wollen ist Blödsinn, Menschen danach auf- und abzuwerten ist eindeutiger Missbrauch.
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Der Nachweis, dass es Rassen gebe, kann nicht gelingen. Der Gegenbeweis allerdings auch nicht. Beides aus einem einfachen Grund: Der Begriff wurde nie klar und allgemein gültig definiert
Liesse sich der Begriff denn sinnvoll definieren ?
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Die meisten Evolutionsbiologen lehnen den Begriff menschlicher Rassen ab, er sei überholt. Mit der Begründung, es fehle die nötige Trennschärfe ... Die Differenzen würden nur von einer kleinen Untergruppe von Genen bestimmt
Um so besser wäre es doch definiert. Wie gesagt, immer im Sinne von Unterschieden ohne globale Wertigkeit. Aber man geht noch weiter:
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Natürlich sei der Rassenbegriff eine Leerformel, „wir sind uns einig darüber, dass es sozusagen im wissenschaftlich strengen Sinne definierbare Rassen nicht gibt. Im wissenschaftlich strengen Sinne definierbare Kulturen oder Nationen gibt es aber auch nicht“
Und spätestens da sollte man hellhörig werden. Natürlich ist 'Kultur' mehr noch als der genetische Pool eine Angelegenheit mit Übergängen und in stetigem Fluss. Aber wissenschaftlich nicht definierbar ? Wird 'Kultur' zum nächsten Unwort unserer Gesellschaft ?
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Das Gros der Referenten waren Historiker. Und da gingen sich die Kollegen bei ihren Vorstößen in die Geistesgeschichte der Nation schon mal fast an die Gurgel, etwa bei der Frage, ob der große Aufklärer Immanuel Kant, der als einer der ersten Deutschen die Menschheit in Rassen einteilte, diese auch in höhere und niedere bewertet habe oder nicht. Ein Streit, der letztlich die Frage berührt, ob das „Konzept“ Rasse auch ohne Rassismus denkbar wäre. Biologische Vielfalt ohne Diskriminierung?
Nicht ganz so bedeutend wie Kant, aber doch immer noch ein grosses Vorbild: Albert Schweitzer. In den Büchern aus seiner Zeit in Afrika steht so mancher Satz, den sich heute niemand mehr in den Mund zu nehmen traut, der im öffentlichen Leben irgendetwas zu verlieren hat. Alles Rassisten ? Sogar das Grundgesetz handelt von 'Rassen'. Zum Glück braucht es für ein Diskriminierungsverbot keine Definition:
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Rasse ohne Rassismus, denkbar wäre es ja. Als Forderung steht es so schließlich im Grundgesetz. „Niemand darf wegen (...) seiner Rasse (...) benachteiligt oder bevorzugt werden“, steht dort im Artikel 3 ... in Sachsen-Anhalt wurde auch vor 25 Jahren der Begriff noch neu aufgenommen
Womit mal wieder bewiesen wäre, Deutschland ist rassistisch bis ins Herz. Oder haben wir doch das Nazi-Gen ? Diese Behauptung wäre aber doch rassistisch, oder ?
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Tagungsleiter Christian Geulen von der Universität Koblenz-Landau, der selbst davon ausgeht, dass der Begriff naturwissenschaftlich kaum greifbar ist, stellte die theoretische Frage: „Was, wenn dem nicht so wäre, wenn die Genetiker nachgewiesen hätten, dass es Rassen gibt? Würde dies im Umkehrschluss bedeuten, dass der Rassismus deshalb plausibler würde? Natürlich nicht!“
Da ist aber jemand sehr vorsichtig, und das aus gutem Grund. Man muss es nicht 'Rasse' nennen, heute sagt man 'Populationsgenetik', aber es gibt unbestreitbare Unterschiede, anhand derer man recht sicher auf die Vorfahren eines Menschen schliessen kann:
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Der Evolutionsbiologe Armand Marie Leroi etwa warf in einem Aufsatz in der „New York Times“ jenen Kollegen vor, sie würden nur die genetischen Hintergründe der sichtbaren Merkmale untersuchen, „und deshalb dort keine Rassen ausmachen können“. Analysiere man dagegen die Gene auf breiterer Basis, könne man sehr wohl fündig werden und zwischen Europäern, Ostasiaten, Afrikanern, Amerikanern und Australasiern unterscheiden. „Der runden Milliarde von Europäern und ihren Verwandten in Übersee sind genetische Varianten gemein, die so bei anderen sehr selten sind. Sie sind eine Rasse.“
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populationsgenetischen Ermittlungen ... Unterschieden in den Erbanlagen der Völker nachginge ... das breite Spektrum all derer ..., die ein durchaus rationales Interesse an der Erbgutanalyse verschiedener Populationen haben: von der medizinischen Forschung über die Pharmabranche, die Kriminalistik, die unterschiedlichsten Datenbanken bis zu nationalen Projekten einzelner Länder, nicht zuletzt auch Historiker, die frühere Wanderungsbewegungen erforschen
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Längst konnten Mediziner und Pharmakologen spezielle Resistenzen oder Anfälligkeiten gegenüber Krankheiten bei bestimmten Populationen ausmachen, und entsprechend unterschiedliche Therapien einführen. Das ging so weit, dass die US-Arzneimittelbehörde erstmals in der Geschichte ein Herzmedikament nur für Afroamerikaner zuließ
Hoppala. Ist das Medikament für Menschen anderer Herkunft gefährlich, erwiesenermassen nutzlos, oder nur nicht abschliessend getestet ? Werden da mglw. Patientien (negativ) diskriminiert, denen ev. geholfen werden könnte ?
Und noch zwei Aspekte:
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Auch die Kriminalpolizei zehrt von den wissenschaftlichen Fortschritten ... Lutz Roewer vom Institut für Rechtsmedizin der Berliner Charité sagte vor Jahren bereits in einem Interview: „Wenn man nur die richtigen Abschnitte im Genom anschaut, dann kann man schon herausbekommen, zu welcher Ethnie eine Person gehört.“
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Zwischen 1920 und 2015 wurden etwa 80 populationsgenetische Studien über das Volk der Roma veröffentlicht ... „Die Roma-Aktivisten haben auf die Studien sehr positiv reagiert“ ... Sie hätten sich „erfreut darüber gezeigt, endlich zu wissen, wer alles zu ihnen gehört“
Selbst die Nachkommen der Nazi-Opfer sind (nach 'linker' Definition) Rassisten.
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Vieles deutet darauf hin, dass eine solche Tagung im Ausland, im angelsächsischen Bereich zumal, einen anderen Tonfall hätte. Der Rassebegriff findet dort eine vollkommen andere Rezeption ... Und Cornell West, schwarzer Universitätsprofessor in Princeton, Kämpfer gegen den Rassismus und Anhänger des verstorbenen Martin Luther King, hat gleich eine ganze Reihe von Büchern geschrieben, die den Begriff „Rasse“ im Titel tragen. Das bekannteste darunter: „Race matters“. Übersetzt hieße das wohl „Rasse ist wichtig“. Das aber, meint Veranstalter Geulen im Gespräch, „könnten sie hier nie auf den Markt bringen, nicht mit dem Titel“
Anscheinend ist nicht jede Verwendung des Begriffes 'Rasse' - sogar auf Menschen bezogen - Missbrauch, zumindest ausserhalb Deutschlands. Kann es dann gut sein für Deutschland (und unser Verständnis unserer eigenen Geschichte), wenn wir diese Diskussion weit eingeschränkter führen müssen als unsere Nachbarn ? Und können wir vielleicht etwas lernen über den Umgang mit Begriffen, die bestimmte Gruppen unserer Gesellschaft missbräuchlich verwenden ?
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Eine andere Frage ... : Inwieweit das Erkenntnisinteresse dem politischen Willen untergeordnet werden und in der geforderten „Dekonstruktion“ des Rassebegriffs münden sollte – wofür es in Deutschland ja starke Argumente gäbe.
Andererseits: Egal, ob Rasse, Ethnie, Population oder ein anderer Begriff – es wäre ein zweifelhafter Anspruch, das Erkenntnisinteresse der Wissenschaft einseitig dem Prinzip des „Cui bono“ (wem nutzt es?) zu unterwerfen
Es war in den letzten Jahren öfter von der Deutungshoheit die Rede, die man dem und jenem nicht überlassen dürfe. Bei der 'Rasse' überlassen wir die Deutungshoheit bis heute fast völlig den Ideologen des Dritten Reiches. Ist das sinnvoll ?
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„Was aber, wenn die Rechten einmal an die Macht kommen und diese Erkenntnisse für ihre Zwecke missbrauchen?“
Wissenschaft ist gefährlich, und es gibt wohl kaum eine wissenschaftliche Erkenntnis, die nicht missbraucht worden ist.
Von Rechten, Linken, religiösen Fanatikern oder einfach machtgeilen Psychopathen.
Eine Möglichkeit wäre, Wissenschaft und Technik weitestgehend abzuschwören. Möglich ist das, wie man z.B. an den Amish sieht.
Viel wichtiger ist aber wohl, eine Herrschaft von Extremisten, Demagogen oder Tyrannen zu verhindern. Die Geschichte beweist, dass der Mensch auf jeder technologischen Stufe im Stande war, Gräueltaten zu begehen. Wissenschaft und Technik erweitern die Möglichkeiten und die Dimensionen, ändern aber nichts am Prinzip.
Wichtig wäre es, dass die Mehrheit der Menschen aus eigenem Verständnis heraus Verantwortung übernimmt. Das wird der Mehrheit heute leider nur vorgegaukelt, sie hat weder das Verständnis (weil es politisch nicht erwünscht ist), noch übernimmt sie tatsächlich Verantwortung (merkt man sofort, wenn jemand doch einmal die Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen muss).
Das zu ändern wird sehr schwierig. Mit einem Bannfluch über ein paar schmutzige Wörter erreicht man eher das Gegenteil.