Über Syrien hätte es ja auch genug zu schreiben gegeben. Heute Morgen dann eine Eilmeldung:
Amnesty: Tausende Hinrichtungen in Gefängnis in Nord-Damaskus
Amnesty zu Syrien: Bericht über Massenhinrichtungen mit 13.000 Toten
Zitat
Die Henker kamen jede Woche. Sie nahmen Häftlinge mit, jedes Mal bis zu 50 Personen. Dann hängten sie sie auf - unter größter Geheimhaltung
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Nach Schätzungen syrischer Menschenrechtler sind seit 2011 sogar bis zu 50.000 Menschen in Regierungsgefängnissen gestorben. Vor drei Jahren waren mehr als 50.000 Fotos von Toten bekannt geworden, die ein früherer Militärfotograf mit dem Decknamen Caesar 2013 aus dem Land geschmuggelt hatte
Die Versuchung, die Meldung unter Propaganda abzulegen, war gross - obwohl ich Assad so etwas durchaus zutraue. Aber der Zeitpunkt ist wieder einmal zu günstig: Syrien scheint ganz langsam wieder einem Frieden näherzukommen (oder zumindest dem, was man in der Gegend als Frieden bezeichnet), die Russen haben ihre Kräfte zu einem Gutteil zurückgezogen, Trump hat auf Krieg in Syrien auch keinen Bock - da muss man eben die Leichen wieder aus dem Keller holen. Bei dem Ausmass muss man sich natürlich fragen, warum Assad nicht auf die eine oder andere Weise beseitigt wurde, da erzählt mir keiner, dass es absolut keine Möglichkeiten gab.
Und die Berichterstattung heute ist eben auch wieder etwas merkwürdig: "bis zu 50.000 Menschen in Regierungsgefängnissen gestorben. Vor drei Jahren waren mehr als 50.000 Fotos von Toten bekannt geworden" klingt für mich nach +/- 50.000 durch Fotos nachgewiesenen Leichen. Dummerweise kann man auf Google den Zeitraum der Suche frei wählen (das können die Alternativen m.W. nicht), und da finde ich z.B. diesen Artikel vom Januar 2014:
Erschütternde Bilder: Assad lässt systematisch foltern und töten
Zitat
Caesar stand demzufolge noch in den Diensten Assads, als er bereits heimlich mit der syrischen Opposition zusammenarbeitete ... Insgesamt handelt es sich um 55.000 Fotos aus dem Zeitraum März 2011 bis August 2013. Sie zeigen 11.000 getötete Syrer.
Das ist kein qualitativer Unterschied, aber ein Faktor fünf ist doch ein quantitativer Unterschied, der im Qualitätsjournalismus nicht untergehen dürfte.
In der Eilmeldung von Yahoo ist noch etwas Seltsames:
Zitat
Ein früherer Gefängnisinsasse, Omar Alschorge ... der nun in Schweden lebt. Nach neun Monaten in Saidnaja kaufte er sich nach eigenen Angaben im Jahr 2015 frei, er war zu der Zeit an Tuberkulose erkrankt und auf 35 Kilo abgemagert.
Ein Todkranker kann sich auf einmal freikaufen und schafft dann den Weg von Syrien nach Europa ? Wo nimmt er die Mittel her, für das eine wie das andere (die Reise dürfte er kaum ohne intensive Hilfe geschafft haben) ?
Natürlich kann seine Familie das nötige Geld zusammengesammelt haben. Aber das ist doch ein ziemlicher Unterschied.
Und bei mir stellt sich immer wieder die Frage, wenn man Beweise für fast unglaubliche Gräuel hat (man kann ja mal versuchen, sich die Zahlen als Bewohner von Ortschaften oder Stadtvierteln vorzustellen ), warum ist es dann immer noch nötig, mit angreifbaren Formulierungen einen drauf zu satteln ? Selbst, wenn die meisten Leser gedankenlos genug sind, um die ganzen Ungereimtheiten kritiklos zu inhalieren ?
Und dann kommt das als Eilmeldung über Vorgänge, die seit drei Jahren bekannt sein müssten (und an mir wohl wegen Umzugsstress vorbeigegangen sind). Eilig ist offenbar nur das Bedürfnis im Mainstream, Syrien weiter am Köcheln zu halten. Hatte man ja fast sträflich vernachlässigt. Es wurde ja sogar schon vorgeschlagen, die Syrienflüchtlinge sollten zurück in ihre Heimat. Muss man sich mal vorstellen ...